Große Schatten: BVerfG entscheidet Mittwoch über ESM

Am Mittwoch soll das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Rechtmäßigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entscheiden. Die Entscheidung wird aller Ortens mit großer Spannung erwartet und die Börsen tun schon so, als wenn die Entscheidung für den ESM gefallen sei. Allerdings gab es letzte Woche noch eine Entscheidung, die das Ganze vielleicht doch noch zu Fall bringen könnte: da hat nämlich der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Draghi verkündet, daß die EZB künftig alte Schulden der Länder aufkaufen wird. Im Endeffekt bedeutet das, daß die EZB im Fall der Fälle einfach die Gelddruckmaschine anwirft, die Inflation steigen wird und die Spekulationsverluste aus der Bankenkrise um Lehman Brothers nun über den Umweg der Länderschulden vergemeinschaftet werden. Und zwar in unbegrenzter Höhe. Für immer.

Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler hat nicht nur mit ca. 37.000 Bürgern Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die in einem Eilverfahren das BVerfG nun am Mittwoch entscheiden will, sondern auch einen weiteren Eilantrag aufgrund der neuen Situation mit der EZB eingereicht, wie Spiegel Online berichtet

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen neuen Eilantrag zum Euro-Rettungsschirm eingereicht. Gauweiler erklärte, mit dem Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen sei eine völlig neue Situation für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Euro-Rettungsfonds ESM entstanden. Gauweiler fordert nun von den Karlsruher Richtern, notfalls auch die für Mittwoch geplante Entscheidung zum ESM zu verschieben, falls das Gericht nicht vorher über seinen neuen Eilantrag entscheiden kann.

Damit steht es nun eigentlich auch offen, ob Mittwoch bereits der Eilantrag von Gauweiler & Co entschieden wird. Ich denke, im Laufe des Montags oder Dienstags wird es hierzu eine Pressemitteilung des BVerfG geben. Wenn es eine Verschiebung der Entscheidung im derzeitigen Eilantragsverfahren gäbe, wäre das vermutlich wegweisend für die Entscheidung an sich.

Zu befürchten steht aber, daß es eine “Ja, aber…”-Entscheidung am Mittwoch in Karlsruhe geben wird, da das Gericht natürlich auch die europäische Integration als Maßgabe des Grundgesetzes ansieht. Die Frage ist nur – und da ist das Vorhaben der EZB wichtig – inwieweit das BVerfG diese Integration zulässt, wenn diese nicht auf demokratischen Entscheidungen fußen. Und da ist eben der ESM mit seiner grundlegend undemokratischen Struktur ein wichtiger Punkt. Denn der ESM soll wohl eine Gesellschaft in Luxemburg werden, bei dem es keine Kontrolle durch die Parlamente geben soll, noch wird es wohl Konsequenzen für die dortigen Manager geben, wenn sie Fehlentscheidungen treffen.

Gleichzeitig wird aber die EZB verpflichtet, unbegrenzte Mittel für eben diesen ESM zur Verfügung zu stellen. Die Konsequenzen müssen die EU-Staaten tragen, also die EU-Bürger letztendlich. Dadurch könnte der Bundestag in seinem Budgetrecht, daß die Verfassungsrichter erst kürzlich ausdrücklich in einer anderen Entscheidung gestärkt haben, verletzt werden, wie auf format.at eine Meldung in der Osnabrücker Zeitung zitiert wird: 

In dem Schreiben vom 5. September heißt es laut Zeitung, eine “womöglich unmittelbare und potenziell unbestimmte Haftung” für die Schulden anderer Staaten verletzte den Deutschen Bundestag in seinem Budgetrecht. Es sei nicht gerechtfertigt, die “Legitimation von Staatsgewalt und deren Ausübung durch Fesselung des Haushaltsgesetzgebers infolge von Verbindlichkeiten aus internationalen Übereinkünften praktisch zu entleeren”. Weiter heißt es: Falle ein ESM-Mitglied als Fondseinzahler aus, “kommt es zu einer höheren Einzahlungspflicht der übrigen ESM-Mitglieder”.

Es kann also im allerschlimmsten Fall soweit kommen, daß die Bundesrepublik Deutschland für die Schulden aller anderen Staaten aufkommen muss. Daß das nicht unbedingt hypothetisch ist, wird schon daran deutlich, daß für Ende der Woche, also nach der vermeintlichen Entscheidung in Karlsruhe am Mittwoch, erwartet wird, daß auch Spanien Hilfen aus dem ESM beantragen wird. Und auch weitere Staaten haben mit ihren angehäuften Schulden zu kämpfen. Daß Deutschland aber nicht die Schulden aller EU-Staaten tragen kann, sollte jedem einleuchten. Das Resultat wäre dann übrigens wohl eine weltweite Rezession, wenn die gesamte EU ihre Schulden nicht mehr zahlen kann.

Ich bin ja durchaus für ein Europa, aber bitte nicht auf Kosten der Bürger und zum Wohle der Banken! Die Politik pumpt immer mehr Geld in das schwarze Loch, das die Finanzkrise gerissen hat, ohne jedoch auf politischem Wege durch Gesetze und Regelungen am eigentlichen Problem im Finanzsektor etwas wirksam zu ändern. Solange dies nicht der Fall ist, kann und darf diese Vergesellschaftung der Schulden nicht weitergehen. Der Anreiz der Staaten zum sparsamen Haushalten wäre zudem nicht mehr gegeben. Was schert es mich denn auch, wenn ich meine Schulden nicht mehr selber zurückzahlen muss, sondern dies andere Staaten machen?

Europa ist auf dem Rückzug. Das wird auch an anderen Stellen wie der Reisefreiheit deutlich (Holland filmt Autos an Grenzübergängen, Dänemark wollte wieder Schlagbäume an den Grenzen aufstellen). Über eine gemeinsame Finanzpolitik in der EU können wir reden, wenn wir eine europäische Integration der Bürger geschafft haben. Wenn wir wirklich von einem geeinten Europa der Menschen sprechen können! Bisher sprechen wir nur über ein geeintes Europa der Politik und der Wirtschaft. Wo bitte bleibt das Europa der Menschen?

Wie sehr die Politik in alten und eingefahrenen Schemata denkt und handelt wird übrigens auch in einem anderen Spiegel Artikel deutlich: 

Einen Plan B für den Fall eines möglichen Scheiterns gebe es nicht, heißt es in Berlin und Brüssel übereinstimmend.

Damit wird eigentlich offenbar, daß die Politik keine Lösung für das Problem hat, sondern nur an Symptomen herumdoktort. Insofern ist zu hoffen, daß die Entscheidung am Mittwoch gegen den ESM ausfällt und die Politik gezwungen wird, auch andere Alternativen wie das isländische Modell in Erwägung zu ziehen, was meiner Meinung das Einzige ist, was in dieser Situation helfen würde (Taz Artikel): 

Island ließ seine Banken pleitegehen, kürzte keine wichtigen Staatsausgaben und rettete seine Bürger.

Und siehe da – was für deutsche Ohren wie Häresie klingt, hat auf ganzer Linie funktioniert. Erst vor wenigen Tagen würdigte der Internationale Währungsfonds (IWF) Islands „überraschenden“ Erfolg und erklärte das isländische Krisenprogramm zu einem Vorbild für andere Staaten unter internationalen Hilfsprogrammen. Island habe, so der IWF, nicht den Steuerzahler für die Verluste der Banken in Haftung genommen und konnte dadurch das Wohlfahrtssystem erhalten und die Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit abwenden.

Warum im Falle Griechenlands nun eine andere Politik gefahren wird, bleibt wohl ein Rätsel der EU-Politiker und der Banken-Lobbyisten. Hoffen wir, daß das BVerfG Anlaß zum Umdenken gibt!

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